Politik, Emotion, Eskalation? Tagung des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte
Nationale Unabhängigkeitsbewegungen und regionale Separatismen sind Phänomene, die sich parallel zum europäischen Einigungsprozess und dem vermeintlichen Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Souveränität unvermindert ihren Weg bahnen. Gerade in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben alte und neue Nationalismen und Regionalismen ein beträchtliches Maß an Zulauf sowie große internationale Medienaufmerksamkeit erhalten. Es genügt der Verweis auf die bekannten Krisenherde in Katalonien und Schottland oder verschiedene ost- und südosteuropäische Regionen.
Die sich radikalisierende Forderung nach Unabhängigkeit bzw. Eigenstaatlichkeit stellte den Imperativ staatlicher Integrität wie auch die damit verbundenen Disziplinierungsinstrumentarien vor große Herausforderungen. Darüber hinaus führten diese Separatismen aber auch zu großen innergesellschaftlichen Konflikten und politischen Polarisierungsprozessen, die wiederum tiefe gesellschaftliche Spaltungen und neue soziale Fronten provozierten. Nicht minder leidenschaftlich und emotional wird vielerorts – natürlich auch in Südtirol – über die Ausgestaltung regionaler Autonomien debattiert und auch gestritten. Autonomie- und Unabhängigkeitsmodelle sind dabei zwei Formen von Separatismen, denen in der politischen Praxis vielfach ein ganz unterschiedliches Gewicht beigemessen wird.
Angesichts all dieser Entwicklungen ist nicht zuletzt die Geschichtswissenschaft gefordert. Sie muss erklären, wie es zum Wiederaufleben ethnopolitischer Konflikte im ausgehenden 20. und 21. Jh. kommen konnte. Der Nationalstaat schien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein zwischen regionalen und europäischen Bezugsgrößen eingehegtes Auslaufmodell zu sein. Nun drohen dem Nationalstaat ausgerechnet nationalstaatliche Binnenkonkurrenten zum Verhängnis zu werden. Diese Entwicklung macht es notwendig, neu über die Bindekraft von Nationalstaaten und ihre zentrifugalen Kräfte nachzudenken. Und auch über das Verhältnis dieser Staaten zur Europäischen Union. Zudem muss die starke Instrumentalisierung von Geschichte zur Legitimation von Unabhängigkeitsbewegungen sichtbar gemacht werden. Angesichts der florierenden Mythenbildungen ist das aufklärerische Potential der Geschichtswissenschaft gefordert.
„In diesem Jubiläumsjahr, in dem die Südtirol-Autonomie aus allen erdenklichen klassischen Perspektiven analysiert worden ist, möchten wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Rolle Emotionen im Rahmen der Autonomie- und Unabhängigkeitspolitik im interregionalen Vergleich spielen“, sagt der Direktor des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen, Prof. Oswald Überegger. „Nur wenn man versteht, dass Politik immer auch Emotion ist und emotionale Komponenten eine wichtige Rolle in der politischen Praxis spielen, kann man diese komplexen Prozesse verstehen.“
Im Rahmen der Tagung stellt der Historiker Christoph Cornelißen sein neuestes Buch „Europa im 20. Jahrhundert“ vor. Cornelißen ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Frankfurt a. M. und Direktor des Deutsch-Italienischen Historischen Instituts in Trient. Die Buchpräsentation findet am Freitag, den 11. November mit Beginn um 17.45 am Campus Brixen der Freien Universität Bozen statt (Hörsaal A1.50).
Die Tagung ist für alle Interessierten ohne Anmeldung zugänglich und findet am 11. und 12. November an der Fakultät für Bildungswissenschaftlichen am Campus Brixen der Freien Universität Bozen (Hörsaal A1.50) statt. Das Tagungsprogramm ist unter folgendem Link online einsehbar: https://www.unibz.it/de/events/141253-tagung-grosse-gefuehle-im-kampf-um-den-eigenen-staat
Internationale Tagung “Big Emotions” in the Fight for a “State of One’s Own”. Regional Movements of Independence from the Perspective of the History of Emotions
11.-12. November 2022 Hörsaal A1.50
(su)