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Freie Universität Bozen

Frau steht in einem Hörsaal vor Personen und spricht in ein Mikrofon.
Forscherin Federica Viganò während der Präsentation des Forschungsberichts. Foto: unibz

CC Social Work, Pedagogy and Policy Press releases

Altern in Südtirol. Herausforderungen und Perspektiven der Langzeitpflege

Wie können die explodierenden Pflegekosten in Zukunft getragen werden? Diese drängende Frage stand im Mittelpunkt eines heute an der unibz vorgestellten Forschungsberichts.

Ein besonderer Fokus der Studie liegt auf der Finanzierung der Pflege in ihren verschiedenen Formen. Dabei wird hervorgehoben, dass viele qualitative Elemente der Pflege nur dann nachhaltig umgesetzt werden können, wenn eine stabile finanzielle Grundlage sichergestellt ist.

Pflege alternder Menschen ist eine große Herausforderung, die sich durch den demografischen Wandel sowie die Veränderung der gesellschaftlichen und familiären Strukturen in den kommenden Jahrzehnten zuspitzen wird. Bis zum Jahr 2035 wird in Südtirol ein Anstieg des Pflege- und Betreuungsbedarfs für Senior:innen um 35 Prozent erwartet. Das geht aus einer Studie hervor, die in Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität Bozen und der Universität Innsbruck entstanden ist und heute Vormittag am Campus Bozen präsentiert wurde. Ein interdisziplinäres Team aus Ökonomen, Soziologinnen und Statistikerinnen hat die finanziellen Herausforderungen im Bereich der Pflege quantifiziert und potenzielle Lösungsinstrumente angedacht, um die Pflege älterer Menschen langfristig nachhaltig zu gestalten.

Die Studie Altern in Südtirol. Bausteine für die nachhaltige Sicherung einer qualitätsvollen Pflege” basiert auf Interviews mit pflegenden Angehörigen, Informationen aus Institutionen, der Zusammenarbeit mit den Abteilungen Soziales und Gesundheit der Autonomen Provinz Bozen sowie bereits vorliegenden Studien. Das Forschungsteam besteht aus den Wirtschaftswissenschaftlern Prof. Alex Weissensteiner (unibz), Prof. Gottfried Tappeiner (Universität Innsbruck), den Soziologinnen Federica Viganò, Verantwortliche für den Forschungsbericht, Prof.in Ulrike Loch (Kompetenzzentrum für Soziale Arbeit und Sozialpolitik), Nadia Paone sowie den Statistikerinnen Prof.in Giulia Cavrini und Elisa Cisotto (alle unibz). Das Team führte eine wirtschaftliche Analyse des Pflegebereichs durch, bei der die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen mitberücksichtigt wurden. „Für eine menschenwürdige Pflege braucht es vor allem liebvolle und qualifizierte Mitmenschen. Geld steht nicht an erster Stelle, denn es pflegt nicht. Aber ohne Geld geht es sicher auch nicht. Wie man die notwendigen Mittel möglichst ‚gerecht‘ aufbringen kann, damit beschäftigt sich der Hauptteil unserer Studie“, erklärt Prof. Gottfried Tappeiner.

„Als Universität möchten wir die Diskussion zu dieser wichtigen Thematik des Alterns und dem damit verbundenen Zuwachs des Pflege- und Betreuungsbedarfs anstoßen und einen wissenschaftlichen Beitrag dazu beisteuern”, unterstreicht Prof. Alex Weissensteiner. „Wir müssen heute damit beginnen, Strategien zu entwickeln, um die Qualität der Pflege in Südtirol nachhaltig zu sichern”, fügt Weissensteiner hinzu.

„Die vorliegende Arbeit ist kein Schlusspunkt zur wissenschaftlichen Diskussion über Pflege und Betreuung in Südtirol, sondern höchstens ein Zwischenschritt. Welche Modelle für Südtirol interessant sein könnten, wie sie sich in eine ‚Pflegephilosophie Südtirol‘ eingliedern würden und wie hoch ihre Akzeptanz in der Südtiroler Bevölkerung ist, sind Fragen, denen wissenschaftlich systematisch nachgegangen werden sollte“, betont Federica Viganò.

An der Vorstellung der Studie nahmen auch Landeshauptmann Arno Kompatscher und Soziallandesrätin Rosmarie Pamer teil. „Die Erstellung einer Studie, welche Szenarien einer zukünftigen Finanzierung im Pflegesektor untersucht, wurde bereits in der vergangenen Legislaturperiode angestoßen“ erklärt Landeshauptmann Kompatscher. „Angesichts einer stetig wachsenden Anzahl an pflegebedürftigen Personen braucht es neue Modelle der Finanzierung von Pflegeleistungen. Auf Basis der nun vorliegenden Ergebnisse werden wir konkrete Modelle wie das einer ergänzenden Pflegeversicherung diskutieren können“.
Auch für Landesrätin Pamer geht es nun darum, zukunftsweisende Schritte zu diskutieren und umzusetzen: „Jede und jeder von uns möchte würdig, gut und selbstbestimmt älter werden. Die Weiterentwicklung der bestehenden Pflegesicherung ist daher ein notwendiger Schritt, um dies auch in Zukunft garantieren zu können.“ Kompatscher und Pamer dankten der Universität für die umfassende wissenschaftliche Arbeit, die von Landesseite mitgetragen und unterstützt wurde.

Daten zur Pflege und Handlungskonzepte

Die Studie „Altern in Südtirol“ hat zum Ziel, die finanziellen Herausforderungen im Pflegesektor zu erfassen und mögliche Lösungsansätze zu analysieren. Sie wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren (2021–2023) durchgeführt und hat einen Zeithorizont bis zum Jahr 2035 ins Auge gefasst. Betrachtet man allein die demografische Entwicklung, so wird die Zahl der pflegebedürftigen Personen in Südtirol voraussichtlich um 5.700 Personen, d.h. um rund 35 Prozent ansteigen. Dieser demografische Wandel wirft einige kritische Fragen auf. Geht man von der derzeitigen Pflege und Betreuung zu Hause und in Pflegeheimen aus, werden im Jahr 2035 zusätzlich 1.700 Betten benötigt (115 Plätze pro Jahr). Es ist daher entscheidend, innovative Pflege- und Betreuungsmodelle zu schaffen, um diesen Bedarf an Heimbetten signifikant zu reduzieren. Auch die Zahl der pflegenden Personen sollte zumindest um diese rund 35 Prozent steigen. Für die professionelle Pflege bedeutet dies, dass jedes Jahr neben dem altersbedingten Personalwechsel 120 zusätzliche Pflegekräfte gewonnen werden müssen.

Bereits heute werden für die Pflege von Senior:innen (alle anderen pflegebedürftigen Menschen wurden nicht berücksichtigt) rund 750 Mio. Euro, also ein Vielfaches der Aufwendungen für das Pflegegeld, ausgegeben. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der erwartbaren Reallohnsteigerungen wird sich dieser Betrag bis zum Jahr 2035 um 402 Mio. auf insgesamt 1,15 Mrd. Euro steigern. Dieser Anstieg kommt in dieser Höhe auf die Südtiroler Bevölkerung zu, allerdings kann sie nicht gänzlich von öffentlicher Hand getragen werden. Die Gesamtsumme stellt einen Betrag dar, der kaum aus dem Landeshaushalt oder aus dem Budget der Privathaushalte gedeckt werden kann. Die Bewältigung dieser Aufgabe erfordert eine gut durchdachte Strategie.

Aktuell stellt die Pflege durch Familienmitglieder die Hauptsäule der Pflegeleistung in Südtirol dar. Wie stark der Pflegebedarf in den Heimen steigen wird, hängt von externen Einflussfaktoren, aber auch von unterstützenden Maßnahmen und finanziellen Anreizen für Familien und dem Ausbau von ambulanten Angeboten ab. Heimplätze sind mit Kosten von rund 65.000 Euro pro Bett die weitaus teuerste Form der Pflege. Es könnten erhebliche finanzielle Mittel für die Organisation alternativer Pflegeformen eingesetzt werden, die eine Heimbetreuung hinauszögern und zugleich eine qualitativ hochwertige Pflege zu geringeren Kosten ermöglichen.

Angesichts der anfallenden Kosten wird eine politische Diskussion über die Verteilung der finanziellen Last zwischen der öffentlichen Hand und den Familien notwendig. Ebenso muss berücksichtigt werden, wie diese Last zwischen Familien mit unterschiedlichen Einkommensniveaus aufgeteilt werden kann. Diese Diskussion sollte rechtzeitig und faktenbasiert begonnen werden, bevor die Kostendynamik überhand nimmt und zu schwierigen sozial- und gesundheitspolitischen Notlösungen führt. Im letzten Teil der Studie werden einige Beispiele aus drei Ländern - Dänemark, Niederlande und Österreich - vorgestellt, die als Modelle für die Schaffung eines dynamischen und fortschrittlichen Pflegesystems in Südtirol dienen könnten.

Die Studie „Altern in Südtirol“ kann unter folgendem Link heruntergeladen werden:
https://bit.ly/Altern_in_Südtirol

Rosmarie Hagleitner